Linke Probleme

Wir Linken und links denkenden, aber sich nicht so bezeichnenden Menschen, haben Probleme in der Außendarstellung und somit der Überzeugung des Großteils der Menschen. Das zu bestreiten wäre weltfremd, das nur auf die Adressaten der Kritik und die „dumme Masse“ zu schieben, wäre vermessen. Nur, weil Themen und Ansichten „gut“ oder sinnvoll sind oder uns so erscheinen, werden diese noch lange nicht von anderen Menschen so gesehen, oder gar gelebt und verbreitet.

Nachfolgend ein paar Punkte, die Teile dieser Probleme – aus meiner Sicht – aufzeigen; und natürlich ineinander übergehen.

1. Ablehnung sachlicher Diskussionen
2. Fordern, statt fördern
3. Gruppendenken und Bubblementalität
4. Verwässerung von Begriffen
5. Pure Blockade & Selbstbespaßung
6. Hohes moralisches Ross
7. Gewalt(bereitschaft) und martialisches Auftreten
8. Bigotterie
9. Symptome statt Ursachen angehen
10. Zerstrittenheit

Die Liste ist natürlich nicht vollständig und die Punkte nur angerissen; es gibt noch utopische Dinge, wirtschaftliche und andere Aspekte, aber das sind ein paar derjenigen, die gerade mal raus wollten 😉

1. Ablehnung sachlicher Diskussionen

Da es vorhin als Thema aufkam, hier spontan ein paar Gedanken.

Immer wieder fällt mir auf, dass gerade Menschen, die sich dem weit linken Spektrum zuordnen (lassen), es nicht zu sachlichen Diskussionen kommen lassen (die weit rechten Leute verirren sich zum Glück seltener in meine Umgebung, sind aber sicher nicht besser, so sie denn auftauchen). Liegt es daran, dass man müde geworden ist? Liegt es daran, dass man sich für besser und besser informiert hält, als der Gegenüber? Hat man Angst vor einer Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, weil man Angst hat, das eigene Bild könnte sich verändern, das man doch so mühsam aufgebaut hat? Wenn man die besseren Argumente hat, warum sollte man eine inhaltliche Auseinandersetzung scheuen? Denken verboten, solange es nicht die gewollten  Bahnen nimmt.

Möchtet ihr so behandelt werden? Überzeugt euch so ein Verhalten?

Wenn sich eine inhaltliche Auseinandersetzung dauernd wiederholt, warum setzt man nicht eine fundierte und überzeugende, quellen- und faktenbasierte Liste für diese Punkte auf, auf die man dann verweisen kann? Warum agiert man immer wieder mit Ablehnung der inhaltlichen Auseinandersetzung?

2. Fordern, statt fördern

Dieselben Menschen setzen häufig viele Dinge und/oder Wissen als gegeben voraus. Und damit meine ich nicht simple Grundzüge, wie dass Menschen gleiche Rechte haben sollten, egal, wen oder was sie lieben, welche Farbe ihre Haut hat, welcher Religion sie anhängen oder was für Geschlechtsorgane sie haben.

Von allen Menschen zu erwarten, dass sie sich umständlich und umfänglich informieren und dann natürlich die Meinung teilen (wobei natürlich zu beachten ist, dass Informationen aus vielen Quellen sich – und die sich dort Informierenden – auch noch per se disqualifizieren, wohingegen andere natürlich per se gut und glaubwürdig sind). Wissen voraussetzen und Nichtwissende als dumm (oder direkt als Nazi etc.) abzuspeisen ist natürlich eine sehr sinnvolle Methode der Sympathie- & Unterstützungsgewinnung und keineswegs abschreckend oder gar kontraproduktiv.

Das wird man ja wohl mal voraussetzen können!

Wenn man gleichzeitig aber die breite Masse – die man ja an sich erreichen müsste, da „die schweigende Mehrheit“ ja das oft genannte Problem ist – als dumm darstellt und von ihnen erst mal fordert, sich zu informieren, natürlich aus den richtigen Quellen, umfassend und hinterfragend, anstatt zu unterstützen, ist das sicher nicht hilfreich für die Gewinnung von Unterstützung.

Möchtet ihr so behandelt werden? Überzeugt euch so ein Verhalten?

3. Gruppendenken und Bubblementalität

In den extremen Meinungsecken ballen sich, egal um welches Thema es geht – also auch bei uns Linken jeder Couleur – Gruppen zusammen, in denen viele Ansichten als Dogma existieren, welches nie und nicht mal ansatzweise hinterfragt werden darf. Wer das doch tut, den muss man wegblocken und sich eher weiter radikalisieren, da diese Kritik der Dummen ja auch wieder Beleg dafür ist, dass man Recht hat. Jede Kritik von Außen – oder gar reflektierte Bedenken von Personen, die doch dazugehören – sorgt für Bestärkung von Innen, Abwehrreaktionen und weitere Abschottung.

Besonders sichtbar wird dies in sozialen Netzwerken, wo diese Prozesse schneller und radikaler ablaufen, als an anderen Orten unserer Welt.

Möchtet ihr klassisches „Wir vs. die Anderen“? Überzeugt euch so ein Verhalten?

4. Verwässerung von Begriffen

Klar kann man jeden als Masku, Antisemit, Nazi usw. geißeln und brandmarken, der andere Meinungen vertritt. Aber macht das Sinn? Verwässert das nicht erstens Begriffe, wie bei dem Jungen, der „Wolf“ schreit? Relativiert es nicht auch gleichzeitig die Taten & Opfer derjenigen, auf die diese Begriffe sicher zutreffen?

Ich halte diesen inflationären Gebrauch für gefährlich und schädlich.

Möchtet ihr, dass diese Begriffe nichts mehr wert sind und gleichzeitig deren eigentliche Bedeutung relativiert wird?

5. Pure Blockade & Selbstbespaßung

Yay! Wir haben mit mehreren 100 Leuten wieder mal 20 Vollidioten ihre Demo versaut, schlagt alle ein und lasst uns uns feiern, weil wir super sind!

Mal ehrlich. Wenn 20 (oder 100) Idioten mit alten Fahnen und dummen Sprüchen herumziehen, kriegen sie durch Blockaden mehr Aufmerksamkeit, als sie sonst kriegen würden und verdienen. Klar, gehen die Teilnehmer in die Hunderte oder Tausende, sieht die Sache anders aus, aber auch hier gilt für mich: Die Demo an sich ist Selbstbespaßung der Idioten und erreicht erst mal nicht viele Leute, sondern „nur“ sie selbst. Die Öffentlichkeit wird meist geschaffen durch Berichterstattung.

Ein buntes Straßenfest einige hundert Meter weiter sorgt dafür, dass die eigentliche Demo nur eine Randnotiz ist. Oder gar rein negativ auffällt in den Medien. Und zeigt direkt auch, dass man wirklih bunt, vielfältig und für Freiheit und Grundrechte ist, nicht nur gegen Idioten.

Wenn man aber in schwarz und vermummt, blockierend und aggressiv durch die Gegend zieht und zwischendurch tolle Parolen oder Gesänge von sich gibt, die Otto-Normalbürger gar nicht kapiert oder eher bedrohlich findet, was ist es dann mehr, als Selbstbespaßung? Wen und was erreicht es?

Möchtet ihr vor allem Spaß haben und eure Bubble auf die Straße tragen und in sich geschlossen halten, oder möchtet ihr was bewegen und Menschen erreichen, damit sich was ändert?

6. Hohes moralisches Ross

Immer wieder werden „Diskussionen“ sehr davon geprägt, dass von oben herab als „guter Mensch“ den bösen anderen gepredigt wird. Kommunikation auf Augenhöhe? Fehlanzeige. Wer auch nur den leisesten Verdacht erregt, er könnte Dinge, die nicht mit der Meinung der eigenen Bubble in Deckung zu bringen sind, befürworten oder auch nur bedenken, ist direkt eine persona non grata und sicher dumm und moralisch am Ende. Das geht natürlich passend einher mit den Punkten 1,3 und 4. Man selber ist ja der Gute, weil… ja weil man es halt ist!!11! Daher ist der andere natürlich zwangsläufig der Böse und es findet sich sicher ein passender Begriff – oder sonst halt eine Neuschöpfung, gerne aus dem amerikanischen – um ihn zu diffamieren.

Möchtet ihr gerne von „wissenden und moralisch überlegenen Menschen“ von oben herab behandelt werden? Überzeugt euch so ein Verhalten?

7. Gewalt(bereitschaft) und martialisches Auftreten

Ja, ich kenne und verstehe die Argumente, die für einen schwarzen Block bei Demos sprechen. Aber glaubt ihr ehrlich, dass das für viele der dort anzutreffenden Menschen der Grund für Vermummung und schwarze Massen ist? Kann es nicht sein, dass da so 1-3 Menschen bei sind, die im Rahmen dieser Masse einfach nur Krawall ohne Konsequenzen für sich wollen? Und dass das ganz vielleicht bei der Masse der Menschen nicht so super positiv ankommt, wenn Steine fliegen, es brennt und eine Horde schwarzgekleideter Vermummter Parolen gröhlt?
Möchtet ihr, dass an die Stelle von friedlichen Demonstrationen und Überzeugung von Menschen ein gewaltbereiter Mob tritt, der sich daran erfreut, martialisch aufzutreten, sich zu produzieren und seinen Spaß zu haben? Meint ihr, dass möchten die Leute nebenan auch und sie werden danach überzeugt für linke Ideen eintreten?

8. Bigotterie

Ihr seid für Vielfalt? Lebt sie und lasst andere Meinungen zu. Ihr seid strikt und extrem gegen Kapitalismus? Schmeisst euer iPhone weg, kauft keine Klamotten und lasst das große M weg. Ihr hasst Deutschland? Dann nutzt eure Reisefreiheit. Ihr seid für Grundrechte? Dann lasst Idioten demonstrieren und lasst Menschen ihre Meinung (oder überzeugt sie). Ihr seid gegen Nationalstaaten? Dann seid es auch bei Israel. Ihr seid gegen Verurteilung aufgrund der Herkunft? Dann lasst es auch bei Amerikanern, Russen oder Deutschen.

Und vor allem: Legt an euch selber höhere Maßstäbe, als an andere Menschen, nicht umgekehrt.

Wollt ihr von Menschen regiert und kontrolliert werden, die bigott sind? Mögt ihr unsere Regierung und die Kirchen mit all ihrer Bigotterie?

9. Symptome statt Ursachen angehen

Wenn ihr wirklich was bewegen wollt, dann macht es nicht wie die Politiker, die ihr dauernd dafür kritisiert und geht nur Symptome an. Klar ist es leichter und für das Selbstbild und die Selbstdarstellung ausreichend, miese Symptome anzuprangern, aber dumme oder feindliche Einstellungen haben auch Ursachen. Versucht diese zu ändern. Versucht die Gesellschaft und das herrschende System zu ändern, nicht nur immer Köpfe einer Hydra abszuschlagen.

Wollt ihr Krankheiten medikamentös behandeln oder vielleicht doch den langen Weg gehen und die Ursachen angehen und beseitigen?

10. Zerstrittenheit

Die linke Szene ist so dermaßen zerstritten durch Strömungen und Ansichten zu einzelnen Themen, dass es schmerzt. Was? Du bist pro Israel/Palästinenser? Pro/anti Amerika? Mit dir rede ich nicht, egal zu welchem Thema, du bist Teil des Bösen!

Dass sich andere Leute mit anderen Ansichten kaputt lachen ist nur logisch. Wo wegen Differenzen in Einzelpunkten die Zusammenarbeit in allen Punkten leidet oder gar unmöglich wird, kann man nichts erreichen.

Wollt ihr, dass jemand, der in einem Punkt eine andere Meinung hat, euch nicht unterstützt in anderen Punkten?

Kurz gesagt: Es ist in großen Teilen eher ein Problem der Kommunikation und des Handelns, als der Themen.

Ich möchte gerne Menschen, möglichst viele sogar, überzeugen. Wollt ihr das auch?

9 Gedanken zu „Linke Probleme

  1. Idahoe

    Ich denke, ich weiß, was Du sagen willst, frage mich aber, warum Du es nicht einfach tust:
    Sind das die Fragen, die Du wirklich stellen willst? Stellst Du nicht vielmehr Dein Einfühlungsvermögen in Frage? Wieso mißtraust Du Dir?
    Bedeutet frei zu sein nicht, loslassen zu können? Wie frei sind Menschen, die Freiheitsrechte fordern? Weshalb Rechte und damit Regeln fordern, denen der Mensch gehorchen muß? Bedingt Recht nicht Unrecht? Bietet Recht Schutz oder Sicherheit? Wer macht die Rechte? Gibt es gleiche Rechte für alle? Was ist mit denen, die diese durchsetzen, benötigen die nicht mehr Rechte? Was geschieht dann mit dem Grundsatz gleiches Recht für alle? Weshalb braucht der Mensch erst Rechte um frei sein zu können? Sind Menschenrechte Naturrecht oder positives Recht? Weshalb fordern auch Atheisten ein höheres Wesen, das ihnen Rechte verleiht? Wieviele Tote haben jemals ihr Recht auf Leben eingeklagt?
    Bezeichnet Recht nicht das Gute und das Unrecht das Böse? Ist eine Ursache nicht nur die Reflektion von Wirkung? Wie willst Du mit Recht/Unrecht Gerechtigkeit herstellen? Wie willst Du Menschen überzeugen, wenn Du auch die Kategorien Gut und Böse verwendest? Stellst Du Dich nicht selbst in Frage? Weshalb?

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  2. mg

    Eine sehr schöne Beschreibung der Eigensicht jeglicher Gemeinschaft, die sich selbst als Elite („Avantgarde“) und im Besitz der ewigen Wahrheit wähnt. Vollig egal, ob links, rechts, katholisch, orthodox oder islamistisch. Ich vermute sogar, gelegentlich erfolgt die Definition der eigenen Position nicht durch positive Ziele, sondern durch Ablehnung anderer Positionen. Dazu passt dann auch eine Sicht auf die Welt, in der der gefährlichste Gegner, den es unbedingt auszumerzen gilt, nicht das „andere“ Lager, also z.B. bei Linken die Rechten und umgekehrt, sondern der „Abweichler“ in den eigenen Reihen ist. Das führt dann aus dem Hotel Lux über Schauprozess und öffentliche Reue direkt zur Exekution. Drastisch gesprochen.

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      1. Unnamed

        Sehr schöne Zustandsbeschreibung.
        Die 1 Million – Euro Frage lautet: Wie schafft man andere, bessere Zustände? Allein mit der Beschreibung der gegebenen Situation und Appellen a la „möchtet ihr (wirklich)…“ wird das eher nicht gelingen. Vielleicht wäre partielles Sedieren der linken Protaganisten mit weichen Drogen ein Lösungsansatz.
        Ich fürchte, der „positive Einfluss“ zur Überwindung von 1 bis 10(+) wird ein weiteres Mal von außen kommen, in Form eines gesellschaftlichen Systems, das totalitär genug ist, das Ausleben von 1 bis 10 ad absurdum zu führen. Es wird dann nur noch darum gehen, dieses System gemeinsam – auch ganz unabhängig von der Frage, ob man links ist oder nicht – wieder los zu werden.
        So gesehen besteht gute Hoffnung, dass die Linken demnächst ihre Probleme überwinden werden. Und sie, aber eben leider nicht NUR sie, werden auch diesmal den Preis für 1 bis 10 bezahlen.

  3. Mrs. Spock (@Abrazos_Kater)

    Etwas zur Ergänzung:
    Das beständige Fragen nach Gut und Böse ist dann unwissenschaftlich, wenn es mit der Frage nach dem Urheber einer Tat statt nach der Ursache verbunden ist.
    Das ist schon eine recht alte Erkenntnis.
    Wer immer nach den böswilligen Leuten fragt, die etwas aus reiner Bosheit verschuldet haben, begibt sich damit schon auf das populistische Gleis des Stammtisches.
    Allem, was geschieht, geht eine lange Entwicklung voraus, es steht im Kontext mit seinem Umfeld. Das alles gehört zum Ursachenkomplex. Wer so nicht denken, sich mit dem Ursachenkomplex sine ira et studio nicht befassen mag, redet jenseits der Seriösität.

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  4. Pingback: Mal wieder ‘ne Flagge bei den Piraten | Matze's Gedanken

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