#NoDuigida

Ich war heute mal wieder auf einer Demo. Ob ich demnächst auf eine ähnliche Demo gehe, muss ich noch überdenken (und das hat nichts mit den proklamierten Anliegen zu tun).

Vorgeschichte

Aufgrund dessen, was derzeit in meiner Heimat Oberhausen passiert (Gründung einer Bürgerwehr und versuchter Anschlag auf eine kommende Asylbewerberunterkunft [ https://linksunten.indymedia.org/de/node/165628 ] und  Hetze mit erfundenen Übergriffen [ http://www.rp-online.de/nrw/panorama/hetze-falschmeldungen-behindern-die-polizei-in-oberhausen-aid-1.5699714 ]) und des ersten Geburtstags des Duisburger Ablegers von Pegida dachte ich, dass es mal wieder an der Zeit wäre, mitzuhelfen dabei, zu zeigen, dass der schöne Ruhrpott keinen Platz für Rassisten – und spaltende Arschlöcher allgemein – hat.

Hätte ich zwischendurch öfter dabei sein sollen?  Grundsätzlich ja, da muss ich mich selbst auch kritisieren. Hätte ich mich immer wieder dort wohlgefühlt und wäre jetzt noch/wieder dabei? Potentiell eher nein. Warum? Der Reihe nach…

Der Anfang

… Also machte ich mich auf den Weg nach Duisburg, um an der Gegendemo der Antifa teilzunehmen. Die Anzahl war nicht mit der ersten Gegendemo (als Pegida das erste Mal in Duisburg auftrat, um schnell rechte Hools und alte Rechte zu aktivieren; später auch besorgte Bürger)  zu vergleichen, aber das hatte ich auch nicht erwartet.

Bereits zu Beginn fiel mir auf, dass ich einer der ganz wenigen (von 3-400) Menschen war, die nicht komplett in schwarz gekleidet waren – nicht falsch verstehen, ich verstehe durchaus den Sinn hinter der Uniformierung – und diese Demo alles Mögliche darstellte, aber weit entfernt davon war, eine bunte Mischung dazustellen. Es war sicher nicht so, dass Menschen außerhalb der Szene oder gar eine breite Masse sich eingeladen fühlen würde, mitzumachen.

Anfangs streikte die Technik (dementsprechend waren die Anfangsansagen nur so mittel zu verstehen, wurden aber auch nur bedingt aufmerksam verfolgt) und die Polizei äußerte (wohl vorher nicht geäußerte) Forderungen bezüglich Transparenten. Es mussten also Mindestabstände bei den Transparenten eingehalten werden (was aber, soweit ich mitbekommen habe, weder eingehalten, noch erneut eingefordert oder gar sanktioniert wurde).

Die Demo an sich

Es lief durchaus ansprechende Musik (ok, das ist natürlich sehr subjektiv) und die Demo zog durch (teils natürlich der Sperrungen geschuldet) leere Hauptstraßen mit außer massenhaft Polizei wenigen Menschen, die durch Gesänge/Parolen/Reden eventuell hätten erreicht werden können (Nähe zur Kundgebung, gegen die man ja an sich antrat [oder?] war eh nicht gegeben, wenn das wohl auch nicht Schuld der Demonstrierenden war). Teils waren es Gesänge, mit denen man sich selber der Einheit als gute Antifaschisten und als Gegner von Grenzen versicherte, teils (für mich) plumpe Gesänge gegen Deutschland und dessen Institutionen, teils Gesänge gegen Rechts an sich. Eine nicht wirklich unübliche Mischung also für eine Demo.

Die kurzen Ansagen vom Wagen nahmen gefühlt wenige Menschen wirklich auf – was leider auch absolut – und besonders bitter, wie ich finde – für die Reden am Zwischenhalt gilt. Die Pausen wurden viel mehr gefühlt dafür genutzt, mit den Menschen aus dem eigenen Umfeld alltägliche Dinge zu bereden oder einen Happen zu essen. Ob es an den Rednern lag, den Zuhörern oder den allen eh bereits bekannten Themen, kann ich nicht sagen. Vielleicht stand ich ja auch immer nur unglücklich.

Kritisiert wurde auch, dass sich die breite Masse der (Duisburger) Bürger nicht(mehr) an Protesten beteiligt.

Die Reden

Zwischenrede 1 fand ich – wie einige der Zwischenanmerkungen auf dem Weg dorthin – durchaus treffend, informativ und gelungen. Zwischenrede 2 war dann eher ein (teils legitimer, teils imo konfuser und mit modernen Fachbegriffen und Moralismen gespickter) Rundumschlag gegen alles – von Rechten über die Gesellschaft, die Polizei, den Staat, die Medien, Islamisten, Antiziganisten & Hools hin zu antiimperialistischen Linken wurde gegen alles gekeilt – das alles natürlich definiert von denjenigen, die die Rede schrieben – aber zugehört haben wie gesagt gefühlt eh nur wenige Leute…

Fazit

Puh. Auf mich wirkte vieles an dieser Demo nicht so, dass es mich dazu animieren würde, bei einer erneuten Demo in dieser Konstellation/Ansetzung mitzulaufen – wobei ich positiv hervorheben muss, dass alles sehr friedlich ablief; sowohl von den Teilnehmern, als auch der Polizei.

Natürlich war es der Anlass wert, mitzulaufen, keine Frage; aber es war für mich halt gefühlt eine Selbstbelustigung/-darstellung vieler Leute ohne weitergehenden Mehrwert. Immerhin war aber TV dabei (wohl u. A. RT, vor denen gewarnt wurde und SAT1 und WDR)…

Es wirkte auf mich wie eine Zusammenballung von Gruppen, die für sich zufrieden damit schienen, dabei zu sein, einige Parolen zu rufen und einen halbwegs geschlossenen Eindruck zu machen. Es war aufgrund der Route – und der paar verbreiteten Inhalte – auch nicht so, dass man Menschen von seinen Themen hätte überzeugen können und zuletzt war auch (bis zur Schlusskundgebung, bei der ich dann die Demo verließ) keine Störung (oder wenigstens ein akustisches/optisches Erreichen) der Pegidisten möglich (Störung/ Kenntnisnahme gab es dann nach der Demo wohl noch in kleinem Rahmen). Was ich so als Ziele für eine Demo definieren würde, wurde jedenfalls meiner Meinung nach nicht erreicht. Wüsste ich die Ziele der Organisatoren, könnte ich hier natürlich eher ein sinnvolles und weniger subjektives Fazit ziehen.

Erreicht man so die breite Masse der (Duisburger) Bürger?

Auch Teil des Fazits: Pegida bleibt für mich weiterhin etwas, wogegen man demonstrieren, die Einstellungen der Teilnehmer etwas, wogegen man argumentieren und angehen sollte.

Wer/Was fehlte mir in der Demo?

Unterrepräsentiert waren die Bevölkerungsschichten 35/40+ (was ja nun doch einen großen Teil der Gesellschaft darstellt), der weibliche Teil der Bevölkerung (dito, wenn auch besser vertreten), Träger nichtdunkler Kleidung ( :P) und auch (sehr deutlich) Menschen mit erkennbarem Migrationshintergrund. Gerade die letzte Gruppe nicht zu erreichen ist imo schon bitter. Wenn man in seinem Selbstverständnis für eine Gruppe agiert, sollte man sich dann nicht hinterfragen, wenn man genau diese nicht erreicht, diese nicht merkbar vertreten ist? Zumal die heutigen Gegner definitiv gegen diese Leute sind? (Wer hierzu Gründe/Begründungen hat, kann mir diese sehr gerne mitteilen)

Gefühlt waren es insgesamt viele kleine Gruppen, die sich in vielen Ansichten einig waren, aber dennoch unter sich in den ihnen bekannten, kleinen Gruppen blieben.

Ist das problematisch? Ja! Ein Gegenprotest, der große Teile der Gesellschaft nicht erreicht – nicht zuletzt diejenigen, für die er da sein möchte (wenn er nicht nur gegen etwas sein möchte,was bitter wäre) ist ein großes Problem; sowohl in Sachen Glaubwürdigkeit oder Legitimität, als auch wenn es um die Wirkung des Protestes und die nötigen Multiplikatoren außerhalb der eigenen Blase geht. Auch das geschlossen schwarze, aggressiv junge Auftreten mit Kapuzen und schwarzen (Leder-)Handschuhen sorgt sicher nicht dafür, dass sich die breite Masse spontan anschließt (da gibt es natürlich auch noch weitere Aspekte, aber alleine das würde meine Familie und viele meiner Bekannten schon abschrecken).

Sollte ein Signal an die Rechten gesendet werden? Sorry, aber die Rechten am Hbf haben die Demo gar nicht störend wahrgenommen (Trolle im Netz zählen nicht) und Demos nur abzuhalten, um sich nach innen zu bestärken kann doch nicht der einzige Sinn sein (wenn es auch durchaus _mal_ Sinn machen kann).

Nicht einmal wirkliche Interaktion war für mich bemerkbar; die gefühlt meisten Leute blieben trotz recht kleiner Demo (bei Großdemos oder angespannter Lage macht das ja durchaus Sinn) innerhalb ihrer kleinen Bezugsgruppe oder bei Menschen, die sie schon gut kannten (vielleicht habe ich natürlich auch nur nicht gut aufgepasst…).

Kurz: Die breite Masse der (Duisburger) Bürger fehlte mir. Warum sie fehlten? Das mag sowohl an der derzeitigen (schlimmen) Entwicklung liegen, zum Teil aber auch vielleicht an Art/Inhalt/Teilnehmerzusammensetzung der derzeitigen Proteste. Nachgedacht werden muss so oder so über Wege, diese Menschen (wieder) zu erreichen; und da sind wir alle gefragt.

Der Gegenprotest am Hbf selber wurde wohl von der Linken, den Grünen und der MLPD getragen (laut Fahnen) und war recht klein, aber immerhin in Rufweite der Rechten. Mehr kann ich dazu nicht sagen, da ich dort nur kurz verweilte.

Immerhin gab es (solange ich dabei war jedenfalls) keine sinnlosen Krawalle.

Was ich mir wünsche 

Statt eines schwarzgekleideten, fast nur jungen, weißen, männlichen Protests (und ich bin ja an sich kein Freund dieser Kategorisierungen, aber hier drängen sie sich auf, sind sie doch fast eine Karikatur des gewünschten/ proklamierten Bildes) wünsche ich mir bunten, fröhlichen Protest, der viel mehr Vielfalt zeigt und viel vielfältigere Menschen erreicht.

Vielleicht bin ich ja nur ein Träumer – sicher bin ich für einige jetzt wieder ein Nestbeschmutzer – aber das wünsche ich mir halt. Wir brauchen gerade in den heutigen Zeiten (nicht umsonst wurde zurecht vom Rechtsruck der Mitte oder zumindestens dem jetzt offener möglichen Rechtssein geredet, das vorher eher nur am Stammtisch geduldet war) eine breite Öffentlichkeit, eine offene Debatte und eine Kultur des Gemeinsam-Agierens.

Wichtig ist weiterer Protest und das Erreichen der Menschen für Menschen.

Teile der Problematik, die ich allgemein bei uns Linken sehe, habe ich bereits hier verbloggt: https://matzesgedanken.wordpress.com/2014/12/31/linke-probleme/

Paris. Viele Fragen.

Paris. Wieder.

Viele Tote, viele trauernde Angehörige, Verletzte, betroffene Überlebende. Sehr viel Leid.

Es gibt so viele Ebenen, die man hier betrachten kann, vielleicht auch sollte. Und ich habe nur Fragen und einige Gedanken; wer Antworten sucht, braucht hier nicht weiter lesen.

Was passiert ist in Paris, passiert anderswo so oft, dass es im täglichen Nachrichtenrauschen bei „uns“ kaum mehr ankommt oder länger, als ein paar Stunden das Denken & Fühlen wirklich beeinflusst. Die Zahl der Toten ist allerdings auch sonst nicht alltäglich, selbst nicht in Bagdad, Beirut oder Nigeria und jetzt ist es in Paris passiert. Nah. Sowohl geographisch, als auch kulturell und für viele persönlich. Was passiert ist in Paris, ist schrecklich; was für Folgen die Anschläge haben werden ist auf vielen Ebenen derzeit in der Schwebe. Alles scheint möglich, nichts gewiss. Das gilt sowohl für Entscheidungen auf der politischen Ebene, als auch auf alltäglicher, zwischenmenschlicher.

Und diese Entscheidungen und Reaktionen werden meiner Meinung nach entscheidend sein dafür, wie diese Anschläge und ihre Auswirkungen in Zukunft bewertet werden.

Welche Auswirkungen werden diese Anschläge haben? Welches Gewicht werden diese Auswirkungen haben? Werden wir uns an Militär im Inland gewöhnen, gewöhnen, gewöhnen müssen? Werden die Wünsche der Sicherheitshardliner erfüllt und Datenspeicherungen immensen Ausmaßes von nun an als normal und nötig angesehen? Werden Gräben in der Gesellschaft vergrößert oder werden sie zuwachsen, gehen wir aufeinander zu oder voneinander weg? Wird dem Terror mit Nächstenliebe und Beibehalten der Grundrechte getrotzt, wird es mit Hilfe von Aufrüstung und Überwachung sein, vielleicht mit Beschneidung von Grundrechten? Wird Terror mit immer mehr Waffengewalt in anderen Ländern und im eigenen Land, auf dem eigenen Kontinent, bekämpft? Wird das dann nachhaltig helfen oder weitere Generationen von potentiellen Terroristen erschaffen durch unschuldige Opfer und Leid? Werden wir einsehen müssen, dass es immer und überall möglich ist, Opfer eines Arschlochs zu werden? Werden wir einsehen müssen, dass der Tod jetzt auch in Europa häufiger zuschlagen wird, nicht nur in „ordentlicher“ Entfernung? Werden wir dadurch allen, die „anders“ sind gegenüber misstrauisch(er) werden? Werden wir dadurch Spannungen vielleicht noch vergrößern, befördern? Was werden wir für Folgen erleben, welche Narben werden diese Anschläge hinterlassen? Werden sie vielleicht auch unsere Sicht auf Leid in anderen Teilen der Welt verändern? Werden wir dauerhaft Schweigeminuten erleben, Flaggen auf Halbmast, täglich wechselnde Avas der Solidarität? Was passiert ist in Paris, erzeugt Angst, erzeugt Wut und scheint Vielen nach schnellen, harten Reaktionen zu schreien. Und viele schreien sofort nach Maßnahmen. Angst, Wut und Hast sind aber meiner Meinung nach eher die falschen Ratgeber für ein Thema, das durchaus das Potential hat, viele Stränge der nahen und ferneren Zukunft stark zu beeinflussen. Instrumentalisierung der Anschläge surft auf der Welle der Emotionen und vorgefertigten und jetzt (scheinbar) bestätigten Meinungen aller Couleur. Viele versuchen jetzt – wieder und vorhersehbar – ihre Agenda oder ihre Sicht als die einzig wahre zu verbreiten, die Reflexe greifen wieder – auf allen Seiten. Im Vokabular enthalten sind bereits der absolute Krieg, bedingungslose Unterstützung und der Dritte Weltkrieg. Gerufen wird nach mehr Überwachung, Stärkung der Geheimdienste, mehr Sicherheitskräften, besserer Bewaffnung, Schutz der Grenzen, Begrenzung von Flüchtlingen (also natürlich nicht im Sinne der Ursachenbekämpfung, sondern des Symptoms) usw. Gerade in Kombination machen mir solche Aussagen große Sorgen, lassen mich zweifeln, dass hier mit Bedacht entschieden werden wird.

Stellt euch einfach vor, wir würden als Reaktion auf Terror mit diesen Methoden reagieren. Wollen wir wirklich eine solche Welt? Mit dauerhaftem Bedrohungsszenario und den passenden emotionalen Katalysatoren lassen sich weitgehende Überwachung und Abschaffung von Rechten sicher durchsetzen. Ließe sich das Rad danach noch einmal zurückdrehen? Oder drehte es sich unaufhaltsam Speiche um Speiche weiter? Weil die ergriffenen Maßnahmen immer noch nicht ganz reichen, der nächste Schritt aber sicher? Weil noch immer nicht alle Menschen friedlich sind, trotz aller Maßnahmen und wir daher immer noch mehr Überwachung und noch weniger Rechte durchsetzen müssen? Weil es immer nur ein kleiner weiterer Schritt ist, ein Zentimeter mehr, wie bei Bubka? Ich mache mir große Sorgen, fühle mich ohnmächtig.

Man kann nach den Gründen für Radikalisierung von Menschen, die letzten Endes Attentäter werden, fragen – nach dem Prozess, der dorthin führt. Man kann dann allein bei dieser nur scheinbar kleinen Frage schon mehrere Ebenen und Möglichkeiten betrachten.

Da gibt es die innenpolitische und gesamtgesellschaftliche Ebene, wie hier in Europa mit Menschen umgegangen wird, die hier bereits leben oder herkommen und hier leben wollen. Das heißt, (u. A.) Themen wie Rassismus, Integration und Integrationswillen, Diskriminierung und soziale Chancen, Bildung und Menschenbild zu beleuchten, ebenso wie den Umgang mit Asyl und Flüchtlingen und den genannten Themenfeldern durch die Politik. Wie Medien mit diesen Themen umgehen, wie wir im Alltag mit diesen Themen umgehen, wie wir alle agieren, reagieren, nichts tun.

Die außenpolitische Ebene , wie und warum „Der Westen“ in anderen Weltregionen agiert und wie dies bei den dort lebenden Menschen und deren Verwandten und Bekannten anderswo ankommen mag und ankommt. Welche Gruppen werden warum unterstützt, welche nicht? Wie wird dort wirtschaftlich gehandelt? Wie, was und wer erhält Hilfe? Wie wird mit den vielen – oft sogenannten kollateralen – Opfern dort umgegangen? Durch die Gesellschaft, durch die Politik, durch die Medien? Sorgt „Der Westen“ gut gemeint, aber schlecht gemacht, für Probleme, für Destabilisierung, für Leid? Folgt er einer eigenen Agenda und nimmt dies bewusst in Kauf? Gerade in diesem Themenfeld gibt es viele, teils sicher absurde, Ansichten – und ebenso viele Überzeugte.

Die religiöse Ebene. Machen wir uns nichts vor. Es gibt diese Ebene und sie ist relevant. Das bedeutet ausdrücklich nicht, dass Religion an sich schuldig ist an dem, was passiert, schon gar nicht alle Gläubigen, aber sie wird mindestens als Katalysator oder Vehikel genutzt und diejenigen, die Terror verbreiten, haben wohl ein Selbstbild als wahre Gläubige. Ist es sinnvoll, deshalb ganze Religionen mitsamt allen Angehörigen unter Generalverdacht zu stellen? Spielt man damit nicht genau denen in die Hände, die Angst, Spannungen und Ablehnung brauchen, seien es rechte Gruppen oder religiöse Menschen, die andere zu Anschlägen bringen? Hier kann man trefflich streiten, was man von religiösen Verbänden oder Personen erwarten kann, darf, sollte oder wie auch immer. Auch kann man danach fragen, wieso Menschen sich religiös so weit radikalisieren (lassen), dass sie dazu fähig sind, „im Namen ihrer Religion“ schreckliche Taten zu vollbringen und wer da auf welche Art Einfluss nehmen kann, um das zu verhindern.

Ist es ein Thema der Gesellschaft? Eins der Angehörigen derselben Religion? Von Verbänden oder von Einzelnen? Trägt jede Religion, jede Überzeugung dieses Potential in sich? Man kann nach dem jeweiligen Individuum fragen, den speziellen persönlichen Umständen, die aus einem Menschen einen mordenden Menschen machten.

Man kann nach den Zielen der Anschläge und der Menschen dahinter fragen. Sowohl den physischen Zielen und deren Auswahl, als auch nach den Zielen, die mit diesen Anschlägen verfolgt wurden. Terroranschläge gelten nur bedingt den jeweiligen Toten, sie gelten vor allem den Überlebenden, den Menschen, die nicht Opfer wurden und somit Ziele der Schreckensverbreitung. Man kann fragen, welche Reaktionen sich die Planer und Durchführer der Anschläge erhoffen. Wollen Sie Angst verbreiten? Wollen Sie, dass wir allen Muslimen mit noch mehr Vorbehalten entgegentreten, als es Viele eh schon tun? Sie argwöhnisch betrachten und ausgrenzen, damit sie weiteren Zulauf erhalten? Wollen sie ihre Macht demonstrieren, Leben auch in Europa zu nehmen; nach innen und außen Stärke zeigen und dadurch sowohl neue Menschen rekrutieren, als auch andere festigen? Wollen sie, dass wir unsere erkämpften Freiheiten aufgeben? Wollen Sie, dass härter militärisch vorgegangen wird, damit es mehr zivile Opfer geben wird und dadurch mehr Zustimmung? Gibt es einen Königsweg, wie hier agiert werden kann? Ist der eventuell genutzte Weg als Flüchtling nach Europa bewusst geschehen? Soll er Europa und die Menschen in Europa dazu bringen, sich abzuschotten und Menschen im Elend zu lassen, aus Angst? Wurde er ganz einfach genutzt, weil er – wie auch andere – möglich war? Sollen wir jetzt Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen? Terroristen und manch westliche Hardliner spielen sich hier gegenseitig in die Hände und leben auch voneinander, könnte man meinen.

Man kann nach den Auswirkungen dieser und anderer Anschläge fragen. Man kann fragen, ob diese Anschläge zeigen, dass wir mehr Überwachung und Befugnis für Dienste und Militär benötigen oder ob dieser Ansatz vielleicht doch als gescheitert gelten kann, da sich Anschläge nie zu 100 % verhindern lassen werden. Man kann sich fragen, ob wir den Terroristen nicht auf den Leim gehen, wenn wir unsere Gesellschaften spalten lassen, wenn wir unsere Freiheiten aufgeben. Man kann sich fragen, ob eine weitere Verschärfung des Kriegs gegen Terror sinnvoll ist und, wenn ja, wie dieser Krieg dann geführt werden sollte. Man kann sich so viele Fragen stellen, die mit kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen auf das Leben aller Menschen zu tun haben, für die diese Anschläge durchaus Katalysator sein könnten.

Man kann nach dem Umgang mit diesen und anderen Anschlägen fragen. Man kann zum Beispiel fragen, wieso Menschen anders reagieren, wenn Anschläge in Paris passieren, als wenn es um Anschläge z. B. im Irak, in Israel oder in Nigeria geht. Ist es die geographische Nähe, die entscheidet? Ist es eine wie auch immer geartete kulturelle Nähe? Die höhere Wahrscheinlichkeit, dass sich dort gerade Freunde oder Verwandte aufhalten, also eine potentielle persönliche Nähe zu den Anschlägen? Ist es eine Abstumpfung, die bei den vielen schlimmen Berichten in Bezug auf manche Region der Welt eingesetzt hat? Ist Paris Teil des „Wir“, während sich sonst „Die“ gegenseitig umbringen oder halt „Die“ umgebracht werden? Wird durch ein Wir/Die-Denken bewusst oder unbewusst eine (emotionale) Grenze aufgebaut, die innerhalb der Gesellschaft ebenso wirkt, wie von ihr nach außen? Wie viel Einfluss haben Berichte von Medien und Aussagen von Politikern auf die Reaktionen, deren Reichweite und Dauer?

Wann und warum werden in sozialen Medien die Avas geändert, Solidaritätsbekundungen verfasst und verbreitet? Wann und warum werden öffentliche / bekannte Gebäude angestrahlt, um Solidarität zu zeigen? Wann und warum hängen Flaggen auf Halbmast? Wann und warum gibt es klare Aussagen, die „bedingungslose“ Unterstützung oder Solidarität zusagen? Und wann und warum nicht?

Wie kommt der Unterschied im Umgang wiederum bei Menschen an, für die andere Anschläge halt doch nahe sind?

Man kann sich auch die Frage stellen, wie man selber reagieren würde, wäre der Terror täglich vorhanden in der Region, in der man lebt, nicht nur einmal in relativer nähe. Würde man selber dort bleiben oder vielleicht doch fliehen? Wie hoch muss der Druck sein, um seine vertraute Umgebung, seine Heimat und Bekannten zu verlassen? Wie groß muss der Druck sein, um das ebenfalls große Risiko der Flucht auf sich zu nehmen? Und wie würde man dann gerne empfangen werden in einem anderen Land? Und was würde man empfinden, würde man dort von einheimischen Menschen häufig abgelehnt, angefeindet? Nicht, weil man ein schlechter Mensch wäre, sondern weil man fremd ist, die falsche Religion oder Farbe hat, die falsche Sprache spricht oder die „richtige“ nur wenig.

Kann man erwarten, dass sich bestimmte Personengruppen von solchen Anschlägen distanzieren? Wenn man meint, es müssten sich Menschen distanzieren, wer dann genau? Landsleute der Täter? Angehörige der Religion, auch wenn sie diese völlig anders auslegen und ausleben, als die Täter? Sind es Verbände, die sich distanzieren müssen? Sind es Verwandte oder Bekannte der Täter, die sich zu distanzieren haben? Kann man Distanzierung erwarten oder verlangen, ohne die vorher gestellten Fragen zu beantworten und sich zu fragen, wovon oder inwiefern man sich evtl. selber von etwas distanzieren sollte, bevor man verlangt?

Sollte man sich die Frage stellen, inwiefern man selber (nicht) dazu beiträgt, eine Gesellschaft zu bilden, die nicht ausgrenzend, sondern inkludierend ist? Sollte man sich die Frage stellen, ob man durch seine Kreuze bei Wahlen politische Entscheidungsprozesse in Gang gesetzt hat, die vielleicht Teil des Problems sind? Sollte man sich fragen, ob man selber in Wir/Die denkt und somit selber ein kleiner Teil des Problems sein könnte? Sollte man sich distanzieren, weil man ein Mensch ist – wie die Täter auch – oder eben nicht, weil Mensch als Kategorie nicht passt oder zu weit gefasst ist? Wo zieht man dann eine sinnvolle Grenze? Berufsgruppe, Blutsverwandtschaft, Herkunftsort, religiöse oder politische Nähe? Ist nur relevant, als was sich die Täter bezeichnen? Wie genau muss diese Selbstbezeichnung demjenigen entsprechen, damit er sich distanzieren soll? Kann man Distanzierungen verlangen; mit welchem Recht? Kann man sie für sinnvoll halten oder auch für nicht hilfreich oder gar schädlich?

Man kann sich fragen, ob Grenzen besser geschützt oder etwa ganz abgeschafft gehören, ob Integration mehr Hol- oder Bringschuld ist, ob wir allen Menschen in unserer Gesellschaft die gleichen Chancen ermöglichen. Man kann sich fragen, welche Freiheiten man selber bereit wäre aufzugeben, welche Rechte, um im Tausch vielleicht ein wenig mehr Sicherheit zu erhalten – wenn man daran glaubt. Man kann natürlich auch seine Fragen stets nur auf andere Menschen und deren Handlungen fixieren und sich selber aus der Gleichung ausnehmen. Man selber tut ja niemandem was und will doch nur Ruhe, Sicherheit und was auch immer.

Kann man Vereine oder Gruppen verbieten und brächte das für sich genommen etwas? Was sind Symptome, was sind Ursachen?

Ist es nötig und wichtig, mit ordentlich Bodentruppen den IS zu zerschlagen? Sind Drohnen der Schlüssel oder großflächige Luftbombardements? Ist Russland mit im Boot oder eher Halbfeind? Was ist mit z. B. Assad? Welche Vor- und Nachteile für wen bringen welche militärischen Vorgehensweisen? Was soll eigentlich gemacht werden mit dieser gesamten dauerhaft destabilisierten Region, damit dort etwas wie Frieden möglich ist? Kann man dort Stabilität schaffen, wenn ja wer und wie? Was ist eigentlich das wirkliche endgültige Ziel für die Region? Haben wir eins? Eine Vision? Etwas realistisches?

Man kann sich auch die Frage stellen, ob es hilfreich ist, jeden direkt als Nazi zu titulieren, der eine weniger offene Meinung zu Flüchtlingen oder anderen Themen hat. Ob man auf diese Art nicht diesen und andere Begriffe entwertet, andere Menschen ausgrenzt und abwertet und somit weitere Ressentiments schürt, durch das dauerhafte Nutzen starker Begriffe für jegliche Abweichung.

Man kann so viele Fragen stellen, bis einem der Kopf platzt.

Ich bin weder Psychologe, noch Soziologe, kein Militärexperte, keiner für Geheimdienste, weder Politiker, noch Theologe, auch kein Journalist; ich werde vermutlich auch keine beleg- und belastbaren simplen Antworten finden, wenn denn welche zu finden sind. Und so habe ich keine Antworten, ich habe nur Fragen und Gedanken. Und das auch noch alles ziemlich wild und ungeordnet bislang.

Ich denke, dass es keinen Zustand 100%iger Sicherheit geben kann, ich denke, dass es immer Menschen geben wird, die anderen aus verschiedensten Gründen Schlimmes wollen oder tun. Ich denke, dass wir lernen müssen, mit der Angst umzugehen, die dadurch entsteht – dass wir das Risiko auf gewisse Art akzeptieren müssen, so wie wir auch die Gefahr von Unfällen akzeptieren, ohne uns wegen der Statistiken einzusperren. Das Leben endet halt tödlich, aber mit einigen Risiken kommen wir anscheinend gut zurecht, während uns andere so sehr ängstigen, dass viele von uns bereit sind, sich deswegen einzuschränken. Worin ist dieser Unterschied im Umgang begründet?

Ich denke auch, dass teilweise leider Gewalt nötig sein wird, um solche Menschen von Gewalt abzuhalten; eine Gesellschaft völlig ohne Staatsgewalt halte ich leider auf mindestens sehr lange Sicht für vollkommen utopisch. Schade, aber so ist es meiner Meinung nach halt.

Ich denke aber auch, dass wir Menschen durchaus das Potential haben, gemeinsam eine Welt zu schaffen, die möglichst allen, die das wünschen, ein vernünftiges gemeinsames Leben ermöglicht. Und ich denke, dass Freiheit, Fairness und Weltoffenheit wichtige Aspekte sind, wenn wir etwas Gutes erreichen wollen. Ich denke, dass jeder durch kleine Taten die Welt besser und lebenswerter machen kann für sich und andere Menschen. Und ich denke, wenn das viele Menschen tun, kann dadurch einiges bewegt werden. Ich denke nicht, dass es hilfreich ist, Freiheiten und Rechte zu beschneiden, Grenzen zu schließen, Menschen auszugrenzen und die Stimmung anzuheizen. Ich denke, dass auch und gerade Politik und Wirtschaft gefragt sind, wenn es darum geht, die Verhältnisse auf unserer globalisierten Welt so zu verändern, dass viele Grundlagen für Leid und Missgunst bald nur noch Randthemen sind, die wir gemeinsam abgeschafft haben. Es gibt viel zu tun, denke ich. Packen wir’s an.

Andere Menschen, Experten in bestimmten Bereichen, werden zu ganz anderen Schlüssen, vermutlich auch schon zu ganz anderen und mehr Fragen kommen. Vielleicht hat einer derjenigen Recht. Oder vielleicht finden Fachleute verschiedener Couleur eine Synthese ihrer Ansichten und dann ein offenes Ohr bei denjenigen, die weitgreifende Entscheidungen treffen können. Wünschenswert wäre es.

SÄA004 – SÄA007 für den BPT151

Der werte Smegworx bespricht derzeit auf seinem Blog Anträge zum kommenden Bundesparteitag der Piraten in Würzburg (was ich sehr gut finde, hoffentlich regt es auch zu ausgiebigen Diskussionen _vor_ dem BPT an). Alle Anträge findet ihr hier. Falls auch andere Leute einige Anträge besprechen, würde ich mich über Links in den Kommentaren oder via Twitter freuen.

Heute hat er sich den oben genannten zusammengehörenden Satzungsänderungsanträge SÄA004, SÄA005, SÄA006 und SÄA007 gewidmet und da dachte ich mir, schreibe ich halt auch was dazu (mache ich bei anderen vielleicht auch noch kürzer)

Die oben genannten Satzungsänderungsanträge gehören sicher zu denjenigen, die Diskussionen und sehr unterschiedliche Reaktionen auslösen. Solange sachlich diskutiert wird, können wir auf jeden Fall bereits von der Diskussion profitieren.

1. Status Quo

Derzeit können erst 16jährige Mitglied der Piratenpartei werden und somit auch den Kurs der Partei aktiv mitbestimmen. Dass gerade die Piraten, die sich doch die Teilhabe als wichtigen Aspekt auf die Fahne schreiben, mit einer solch hohen Hürde aufwarten, finde ich den falschen und auch inkonsequenten Weg. Falls jemand meint, es gäbe rechtliche Hindernisse bezüglich des Mindestalters durch das Parteiengesetz: Nein, das entscheiden die Parteien durch ihre Satzungen. Und andere Parteien sind da teils weiter (SPD:14, Grüne: kein Mindestalter, Die Linke: 14, FDP: 16, CDU: 16).

In NRW wurde übrigens auf dem Landesparteitag ein Antrag angenommen, der auch in die Kerbe der Mitbestimmung junger Menschen schlug, dabei jedoch nicht gesetzeskonform war und ist. Ich habe hier schon darüber geschrieben (und bei Twitter) und für mich als Konsequenz SÄA für den BPT gesehen und dort am Ende des Textes angerissen. Die gibt es jetzt.

2. Die Anträge in Kurzform

Kurz gesagt geht es bei den Anträgen um die Möglichkeit der Mitgliedschaft (und somit die innerparteiliche Mitbestimmung) jüngerer Menschen, als bislang, sowie (in SÄA005) selbiges für nichtdeutsche Menschen ohne Wohnsitz in Deutschland.

SÄA004

Hier gibt es konkurrierende Module zur Änderung des § 2 (1) der Bundessatzung bezüglich des Alters, von 0-14 Jahre gehen die Vorschläge.

SÄA005

Konkurriert mit SÄA004 und erweitert um Nichtdeutsche ohne Wohnsitz in Deutschland.

SÄA006

Ergänzt SÄA004 oder SÄA005 und schafft mehr Rechtssicherheit durch Zustimmungspflicht der Eltern bei Nichtvolljährigen.

SÄA007

Ergänzt SÄA004 oder SÄA005 und erlässt Minderjährigen den Beitrag.

3. Was ich zu smegworx‘ Beitrag sage

Vorab: Die Module sind für mich kein „Schmackhaftmachen“, sondern sinnvoll, um auszudiskutieren und abzustimmen, wie die Meinung in der Partei zu diesem Thema ist. Es gibt sicher für verschiedene Module, wie auch den Status Quo, Argumente. Diese sollten unvoreingenommen ausgetauscht und abgewogen werden (vor dem BPT und zur Not auch noch da).

Erwähnt wird das Alter 7 und nicht die Möglichkeit, dass auch z. B. das Alter 12 oder 14 auswählbar ist. Das ist – finde ich – eine unpassende Zuspitzung.

Die Jupis werden zudem nicht umgangen, sondern jüngeren Menschen wird die Chance geboten, in der Partei selber und direkt mitzubestimmen, ohne ihnen die Chance auf Teilhabe bei den Jupis zu nehmen. Eine Beteiligung dieser Menschen an den Jupis passt hier zusätzlich gut hinein (z. B. um dort zusammen Anträge zu erarbeiten oder Stimmen für Themen einzuwerben).

Ein „Eltern umgehen“ könnte der BPT nur dann entscheiden, wenn er SÄA004/SÄA005 ohne SÄA006 annimmt, anderenfalls ist die Zustimmung der Eltern fixiert. Davon unberührt bleibt das Stimmrecht, das natürlich beim Kind/Jugendlichen verbleibt und persönlich und direkt ausgeübt wird. Auch hier scheint er meiner Meinung nach an 7jährige zu denken, nicht an 12 oder 14jährige, die durchaus nicht immer tun, was ihre Eltern wollen, wie ich so oft höre 😉

Strukturen schaffen, Kinderstammtische (die Idee gefällt mir spontan, da sollten wir mal ansetzen), Lehrpläne anpassen… da bin ich dann wieder bei ihm, sehe das aber nicht konkurrierend zur innerparteilichen Partizipation, sondern als sinnvolle und konsequente Ergänzung, die man dann auch glaubhaft fordern / angehen kann.

Was ich auch etwas anders sehe, ist, dass es reicht, Wünsche von jüngeren Menschen aufzugreifen; hier wünsche ich mir den Mut, diese Menschen auch direkt mitentscheiden zu lassen.

4. Contras

Bislang gehörte/gelesene Contra-Argumente:

  • ist rechtlich nicht möglich! (was mir bislang soweit keiner belegte)
  • es gibt doch die Jupis (ist kein wirkliches Argument imo, hier wird Mitbestimmung halt erweitert)
  • dann werden Parteitage getrollt mit vielen Eintritten (Sehe ich erstmal nicht und nur bei eh knappen Entscheidungen besteht die Möglichkeit und da kriegen die Kids dann gezeigt, dass eine Stimme was zählt 🙂 )
  • Es entscheiden dann eh nur die Eltern (sind Kinder allgemein so? Dann hab ich immer andere erlebt 😉 Und wenn gilt obiges)
  • Das interessiert eh fast keine Jüngeren (dann schadets ja auch nicht)

5. Fazit

Mich überzeugen Bedenken nicht wirklich bislang, den ortsansässigen Lehrer, der mit einer Klasse antanzt, in der alle spontan und von den Eltern unterstützt Mitglied werden, sehe ich eher nicht, selbiges halte ich auch bei Jugendorganisationen anderer Parteien für eher unwahrscheinlich (wenn das auch noch ein Punkt wäre, aber da stellt sich auch die Frage, ob wir mutig und offen sind oder ängstlich bei neuen Dingen und Entwicklungen); die positiven Seiten & Chancen sehe ich dagegen.

Ich persönlich bevorzuge folgende Variante:

  • Ein Mindestalter von 14 (oder 12) durch Annahme des SÄA004/SÄA005
  • SÄA006 annehmen
  • SÄA007 annehmen

Die potentiellen „Gefahren“ durch die Annahme dieser Variante sehe ich als sehr klein an, auch wenn wir Piraten kein Delegiertensystem haben, das Stimmberechtigungen „abpuffert“, wie es bei anderen Parteien ist.

Ich sehe hier eine Chance, die Glaubwürdigkeit zu steigern, junge Menschen anzuziehen, sie direkt mitzunehmen und das Ziel Teilhabe, das wir uns auf die Fahne geschrieben haben, intern allgemein deutlich voranzubringen und auch nach außen positiv zu transportieren.

Ich sehe eine klare Positionierung für ein mehr an Teilhabe jüngerer Menschen, die doch am längsten mit den politischen Regelungen, die getroffen werden, leben müssen. Direkte Beteiligung und Mitbestimmung ist eine andere Stufe, als „nur“ Teilhabe an einer Jugendorganisation ohne die Positionen und das Programm der Partei mit der eigenen Stimme mitgestalten zu können.

Auch Jugendliche – diejenigen, die sich für moderne Politik interessieren und somit Zielgruppe sind – sollten wir als gleichwertige Gesprächspartner und Mitglieder aufnehmen und dementsprechend mit(be)stimmen lassen, statt sie „nur“ in die Jupis zu lassen.

Je mehr junge Menschen mitmachen und etwas bewegen können, um so eher wächst auch das allgemeine Interesse der jungen Menschen an Politik. Das sollten wir fördern, reden wir doch auch oft und gerne über Politikverdrossenheit.

Wenn wir noch weiter nach unten öffnen, sehe ich potentiell dann auch eine Gefahr der Instrumentalisierung der Kinder durch die Eltern. Da kann eine Nichtöffnung auch die Kids schützen imo und dieser potentielle Schutz einiger Kinder überwiegt für mich vermutlich die Nichtteilhabe weniger Kinder. Es ist allerdings eine persönliche Abwägung, ich kann eine andere Gewichtung durchaus nachvollziehen.

Sollte kein Modul angenommen werden, hoffe ich wenigstens auf eine sachliche und gute Diskussion zu den gesamten Themenbereichen Mitbestimmung und junge Menschen und Politik. Das würde auch schon was bringen für die Zukunft.

Wir Piraten wollen die Beteiligung möglichst aller Mitglieder der Gesellschaft an der politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung fördern. Das bedeutet natürlich auch, dass diejenigen, die nach derzeitiger Gesetzeslage am Längsten nach den beschlossenen Gesetzen und Regularien leben müssen und dennoch bislang nicht über ebendiese Gesetze mit entscheiden dürfen, beteiligt werden. Wir als Piratenpartei sollten somit eine Vorreiterrolle einehmen bei der Förderung der Partizipation junger Menschen. Diesem Auftrag zur Partizipation werden wir hiermit unter Anderem gerecht.

Der Landesparteitag NRW vom 18. & 19. April 2015 (#lptnrw151) Teil 2

Nachdem ich gestern über den SÄA019 geschrieben habe, nun mal im Schnelldurchlauf zum Landesparteitag insgesamt. Ich werde nicht auf alle Anträge eingehen und die beiden Anträge X001 und SÄ001.2 von Foti behandel ich die Tage wohl samt Diskussion in einem dritten Beitrag, das wird hier sonst zu voluminös ;).

Die Übersicht aller Anträge mit Ergebnis findet ihr hier, Für diejenigen, die Diskussionen nachverfolgen möchten, was ich durchaus empfehle, gibt es natürlich auch Protokolle von Samstag  und Sonntag.

Bei den vorangestellten Reden war ich noch im ÖPNV (Update: Hier die Eröffnungsrede von Pakki), Formalia waren danach schnell geklärt, das ging echt zackig. Muss man ja auch mal lobend erwähnen.

1. Grundsatzprogrammanträge

GP001 – Bekämpfung von Homophobie wurde angenommen. Den ersten Teil kann ich da gut unterschreiben. Ob eine Aufnahme von Straftaten mit homophobem Hintergrund in die polizeiliche Kriminalstatistik da mit rein musste, halte ich aber für fraglich.

Die folgenden beiden Grundsatzprogrammanträge GP002.2, GP003 sind typische Piratenthemen. „Privatheitsschutz, Datenschutz und Bürgerrechte“ sowie „Für ein freies Netz“ als Antragstitel sagen ja schon was aus und GP004  passt da wunderbar rein und dient als Anker für das Thema Medienkompetenz, an dem dann in Wahlprogrammen angedockt werden kann und soll. Alle drei wurden angenommen. Der dritte Antrag ist als Basis für weiteres Vorgehen zu verstehen, falls er euch etwas knapp erscheint. Nachzulesen im Protokoll.

2. Parteiprogrammanträge

Da haben mir mehrere angenommene Anträge gut gefallen. Beim PaP008.2 hätte ich persönlich den dritten Punkt lieber als separaten Antrag gehabt, aber gut. Der PaP009.2 und auch der PaP005.2 wurden nach konstruktiver Diskussion und Anpassung angenommen, dito der PaP010. Alle drei decken unterschiedliche Bereiche gut ab und haben meine Zustimmung. Gute Punkte fürs Parteiprogramm, wie ich finde. Punkte bezüglich Internet, Netzausbau und Open Data, piratiger gehts ja wohl kaum, dazu keine Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr (bezüglich Schulen) … gefällt 🙂

3. Positionspapiere

Der PP001 wurde nach konstruktiven Einwänden zurückgezogen und wird wohl für den BPT aufbereitet. Parteienfinanzierung ist ein wichtiges Thema und dringend reformbedürftig meiner Meinung nach! Auch der PP016 wird trotz kurzer Verbesserungsvorschläge direkt angenommen. Natürlich wollen wir keine solche Datenspeicherung. Auch hier eine gute Positionierung (auch ohne die Erwähnung von Zeitreisen :D)

Spannend dann zwei Diskussionen (und eine für mich durchaus überraschende Annahme) bei PP015 und PP010. Gerade der zweite ist sicher ein guter Ansatzpunkt für weitere Diskussionen und war auch irre knapp in der Auszählung. 2 Stimmen Unterschied IIRC. Verschwiegenheitsverpflichtung von Admins und Zeugnisverweigerungsrecht derselben sind schon ein spannendes Thema. Ganz früher tat man die sensibelsten Dinge halt dem Pfarrer kund, später warens Ärzte und Anwälte. Ob und wie der Admin da heute in die Reihe passt und welche Probleme es bei diesem Themenkomplex gibt, wurde quasi debattiert.

Auch die Positionierung bezüglich Patientenverfügungen aus PP018.2 wurde konstruktiv und kontrovers diskutiert und nach Veränderung dann angenommen. Ich finde die Positionierung persönlich gut. Patientenverfügungen sind ein wichtiger Aspekt im selbstbestimmten Leben eines Menschen und sollten besser ermöglicht oder zumindestens informierend erwähnt werden. Dafür Rahmenbedingungen zu schaffen, kommt vielen Menschen zugute.

Finanzanträge wurden beide zurückgezogen, Satzungsänderungsanträge wurden nur zwei besprochen, den einen hatte ich gestern schon aufgegriffen, der andere folgt separat. Die beiden zur Vorstandsgröße hätte ich gerne noch besprochen, die kleineren Fixes aus anderen Anträgen wären vielleicht auch flott durchgegangen, aber halt auch nur vielleicht – so reichte die Zeit halt nicht.

4. Sonstige Anträge

Erwähnenswert ist der X007.3, dank dem wir jetzt eine Geschäftsordnung für eine SMV haben. Es gibt keine Kettendelegationen, Abstimmungen, die geheim erfolgen sollen, können mit Quorum (einfache Mehrheit der Abstimmung) auf einen Präsenzparteitag vertagt werden. Die Teilnahme erfolgt pseudonym, man kann sich mit bürgerlichem Namen anmelden und dies verifizieren lassen. Gefällt mir in dieser Form gut und ist auch ein wichtiges Signal.

5. Wahlprogrammanträge

Der erste Antrag zum Thema Blutspende wird angenommen, die anderen beiden werden (nicht entgültig) zurückgezogen durch den Antragsteller bzw. den Proxy. Jeweils nur kurze Diskussion.

6. Sonstige Dinge

Die Eröffnungsreden habe ich wie gesagt nicht mitbekommen, die Rede von Sekor gefiel mir dafür sehr gut. Schön war es natürlich auch einige Leute wieder oder erstmals zu treffen. Dank Bart und Hut haben mich ja durchaus einige erkannt, die mich von Twitter her kennen. Ein emotionaler Moment zwischen Wut und Trauer und sehr bewegend war, als Pakki den LPT darüber informierte, dass wieder Hunderte Flüchtlinge vor Lampedusa ertranken; hier muss noch mehr öffentlicher Druck auf die Politik ausgeübt werden. Schaute man in die Gesichter, waren auch dort Wut und Trauer gemischt und im Widerstreit. Die menschenverachtende Politik, die zu solchem Massensterben führt, dürfen wir nicht hinnehmen. Eine Schweigeminute ist da ein Symbol, das ich persönlich in diesem Moment richtig fand; ändern kann man dadurch leider aber nichts. Aber auch da war trotz Trauer schnell kämpferischer Geist spürbar. Wer, wenn nicht wir?

7. Wahlen

Personen wurden auch gewählt. Ersatzschiedsrichter mit keiner bzw einer Gegenstimme, Gensek mit über 90 % und zwei 2V mit etwas über 60 & und über 90 % IIRC. Auch das passt.

8. Fazit

Gute Diskussionen, gute Positionierungen mit Blick auf eine moderne Welt und in die Zukunft. Durchaus Einiges geschafft bekommen, für einige Dinge Vorarbeit geleistet und meist auch sehr konstruktiv diskutiert. Für mich persönlich ist der #LPTNRW ein Erfolg gewesen. Wir sollten den gestern von mir verbloggten und vom LPT angenommenen Antrag bezüglich Kinderstimmrecht trotz aller Mängel als positives Signal sehen. Schaden bringt er auch in Zukunft nicht, soweit ich die Lage sehe. Der Weg war wohl nicht der wirklich Richtige, aber die Annahme sendet ein Signal, nach Außen und auch in Richtung Innen / BPT, wo man ja dann eventuell eine Änderung des Mindestalters debattieren kann. Dieser Weg steht uns offen, um auch jungen Menschen Mitbestimmung als vollwertige Mitglieder in der Partei zu ermöglichen.

Im dritten Teil gehts dann die Tage um Fotis Anträge und die Diskussionen dazu, die sicher einen Teil zu meiner positiven Meinung über den LPT beigetragen haben, da sie zu lebendigen Diskussionen führten. Manchmal muss jemand etwas Unpopuläres beantragen, damit dann in der Diskussion andere Blickwinkel und Ideen auftauchen. Danke dafür (trotz Neinstimmen^^).

Schön wars. Danke allen von euch, die dort waren, fair und offen diskutiert und von ihrem Recht auf Mitbestimmung Gebrauch gemacht haben. Es gibt viel zu tun, damit die Zukunft eine gute/bessere wird, packen wirs an.

Der Landesparteitag NRW vom 18. & 19. April 2015 (#lptnrw151) Teil 1

Dies ist ein spontan entstandener Text. Ich freue mich über sachliches Feedback natürlich immer.

Vorab:

Dieser Landesparteitag (#LPTNRW151) war insgesamt meiner Meinung nach ein sehr konstruktiver und guter Parteitag; hängenbleiben wird aber (gerade in der Außenwirkung) vermutlich eine Entscheidung dieses Parteitags, da diese alle anderen in der Wahrnehmung deutlich überdeckt. Ich gehe hier erstmal nur auf diesen Antrag, den SÄA019 ein, der Rest folgt in ein oder zwei weiteren Blogposts (mal schauen, ob Fotis Anträge auch einen eigenen kriegen; vermutlich ja, der X001 und der SÄA001 haben es samt Diskussion durchaus verdient).

Ich dachte vorab, der SÄA019 wird eh abgelehnt; wir lassen doch sicher nicht alle Menschen ab 10 und unter 16 als Stimmberechtigte zu, und habe mich daher wohl zu wenig mit dem juristischen Part befasst. Zusätzlich wurde er auch quasi durch die VL (via dringlichem, emotionalem Vorschlag) vorgezogen (wer schlägt schon einen solchen Wunsch aus?)

Nun.

Wir Anwesenden haben anders entschieden und diesen nachfolgenden Antrag dann mit der erforderlichen 2/3-Mehrheit für Satzungsänderungsanträge angenommen:

„Änderung der Satzung NRW in § 6a – Der Landesparteitag Satz 1, anhängen von:

„Stimmberechtigt sind die ordentlich akkreditieren Mitglieder des Landesverbandes, sowie grundsätzlich alle Personen, die das 10. Lebensjahr vollendet, jedoch das 16. Lebenjahr noch nicht erreicht haben, es sei denn gesetzliche Bestimmungen stehen dem entgegen.““

(Übrigens finde ich die Idee/Ausrichtung hinter diesem Antrag, jungen Menschen mehr Mitbeteiligung zu ermöglichen und eine Vorreiterrolle in der politischen Landschaft einzunehmen, sehr gut; und habe dennoch dagegen gestimmt.)

So ein Antrag kommt natürlich emotional klasse an, symbolisch ist er sowieso klasse und auf den ersten Blick erkennt man auch keine Probleme.

Cool! Junge Menschen dürfen mitbestimmen! Das fordern wir doch eh!

Dann der zweite Blick: „grundsätzlich alle Personen, die das 10. Lebensjahr vollendet, jedoch das 16. Lebenjahr noch nicht erreicht haben“.

Ok. Das birgt schon mehr Potential für Stress; dieses Potential wurde aber in der fröhlichen emotionalen Euphorie über den symbolisch echt tollen und durch Leonidas (großen Respekt vor ihm und seinen Rückmeldungen an die Rednerliste) & natürlich auch durch bekannte Unterstützer, gut & sympathisch vorgebrachten Antrag von Vielen entweder ignoriert oder aber als Lappalie und eher absolut theoretisch abgetan. Ich sah da halt Potential des Trollens eines LPT und auch – gerade bei engen Entscheidungen – der Beeinflussung der Entscheidungen eines LPT. Mehr sah ich aber auch nicht und überzeugen konnte ich meine Umgebung halt auch nicht.

Nachträglich nun der dritte Blick.

Das Parteiengesetz definiert den Parteitag oder die Hauptversammlung in § 9 wie folgt (http://www.gesetze-im-internet.de/partg/__9.html):

„(1) Die Mitglieder- oder Vertreterversammlung (Parteitag, Hauptversammlung) ist das oberste Organ des jeweiligen Gebietsverbandes. Sie führt bei Gebietsverbänden höherer Stufen die Bezeichnung „Parteitag“[…]
(2) Vorstandsmitglieder, Mitglieder anderer Organe des Gebietsverbandes sowie Angehörige des in § 11 Abs. 2 genannten Personenkreises können einer Vertreterversammlung kraft Satzung angehören, dürfen aber in diesem Fall nur bis zu einem Fünftel der satzungsmäßigen Gesamtzahl der Versammlungsmitglieder mit Stimmrecht ausgestattet sein.“

Ok. Entweder Mitglieder (1) oder die in (2) genannten Ausnahmen sind stimmberechtigter Teil des Parteitags (aka Mitgliederversammlung). (Update: Sorry, die Ausnahmen gelten nur für Vertreterversammlungen und dann für die genannten Gruppen)

Nichtmitglieder des jeweiligen Verbandes, die nicht in (2) als Ausnahme erfasst werden, sind imo nicht stimmberechtigter Teil des Parteitags. Nun sind potentielle Mitglieder laut Bundessatzung § 2 folgende Menschen:

„(1) Mitglied der Piratenpartei Deutschland kann jeder Deutsche im Sinne des Grundgesetzes und jede Person mit Wohnsitz in Deutschland werden, die das 16. Lebensjahr vollendet hat und die Grundsätze sowie die Satzung der Piratenpartei Deutschland anerkennt.“

Daraus folgt für mich (man möge mich gerne korrigieren, ich bin weder Großmeister des Formalfoo, noch Jurist):

A) Landesparteitag = Versammlung der Mitglieder des Landesverbandes (plus evtl in § 9 (2) genannte zusätzliche potentiell Stimmberechtigte)

B) Mitglieder nach Bundessatzung § 2 (1): mindestens „das 16. Lebensjahr vollendet

das ergibt:

C) Wer nicht das 16. Lebensjahr vollendet hat, kann kein Mitglied sein und hat somit im Bund und auch bei Gliederungen unterhalb des Bundes kein Stimmrecht.

Daraus folgt für mich als Laien:

D) Durch Personen, die nur durch den SÄA an Stimmrecht kamen abgegebene Stimmen sind ungültig (aber auch bei keiner danach erfolgten Abstimmung relevant gewesen).

E) Für die Zukunft sorgt der Passus „es sei denn gesetzliche Bestimmungen stehen dem entgegen“ für Unwirksamkeit des beschlossenen Satzungsparagraphen, sprich, das Ding ist nur ein Appendix ohne jegliche Wirkung.

Daraus folgt für mich:

F) Wir sollten für den kommenden Bundesparteitag (imo am Besten modular, wie nachfolgend) einen solchen Antrag stellen, um Menschen jungen Alters die Teilhabe zu ermöglichen (oder nicht zu ermöglichen):

„Der Bundesparteitag möge beschliessen, § 2 (1) wie folgt zu ändern:

Modul 1) Mitglied der Piratenpartei Deutschland kann jeder Deutsche im Sinne des Grundgesetzes und jede Person mit Wohnsitz in Deutschland werden, die das 14. Lebensjahr vollendet hat und die Grundsätze sowie die Satzung der Piratenpartei Deutschland anerkennt.

Modul 2) Mitglied der Piratenpartei Deutschland kann jeder Deutsche im Sinne des Grundgesetzes und jede Person mit Wohnsitz in Deutschland werden, die das 12. Lebensjahr vollendet hat und die Grundsätze sowie die Satzung der Piratenpartei Deutschland anerkennt.

Modul 3) Mitglied der Piratenpartei Deutschland kann jeder Deutsche im Sinne des Grundgesetzes und jede Person mit Wohnsitz in Deutschland werden, die das 10. Lebensjahr vollendet hat und die Grundsätze sowie die Satzung der Piratenpartei Deutschland anerkennt.

Modul 4) Mitglied der Piratenpartei Deutschland kann jeder Deutsche im Sinne des Grundgesetzes und jede Person mit Wohnsitz in Deutschland werden, die die Grundsätze sowie die Satzung der Piratenpartei Deutschland anerkennt.

Begründung:

Wir Piraten wollen die Beteiligung möglichst aller Mitglieder der Gesellschaft an der politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung fördern. Das bedeutet natürlich auch, dass diejenigen, die nach derzeitiger Gesetzeslage am Längsten nach den beschlossenen Gesetzen und Regularien leben müssen und dennoch bislang nicht über ebendiese Gesetze mit entscheiden dürfen, beteiligt werden. Wir als Piratenpartei sollten somit eine Vorreiterrolle einehmen bei der Förderung der Partizipation junger Menschen. Diesem Auftrag zur Partizipation werden wir hiermit unter Anderem gerecht.

Das mal auf die Schnelle

Matze aka @PorcusDivinus

Update nach Kommentar https://matzesgedanken.wordpress.com/2015/04/20/der-landesparteitag-nrw-vom-18-19-april-2015-lptnrw151-teil-1/#comment-144 : 15jährige sind wohl gekniffen.

Linke Probleme

Wir Linken und links denkenden, aber sich nicht so bezeichnenden Menschen, haben Probleme in der Außendarstellung und somit der Überzeugung des Großteils der Menschen. Das zu bestreiten wäre weltfremd, das nur auf die Adressaten der Kritik und die „dumme Masse“ zu schieben, wäre vermessen. Nur, weil Themen und Ansichten „gut“ oder sinnvoll sind oder uns so erscheinen, werden diese noch lange nicht von anderen Menschen so gesehen, oder gar gelebt und verbreitet.

Nachfolgend ein paar Punkte, die Teile dieser Probleme – aus meiner Sicht – aufzeigen; und natürlich ineinander übergehen.

1. Ablehnung sachlicher Diskussionen
2. Fordern, statt fördern
3. Gruppendenken und Bubblementalität
4. Verwässerung von Begriffen
5. Pure Blockade & Selbstbespaßung
6. Hohes moralisches Ross
7. Gewalt(bereitschaft) und martialisches Auftreten
8. Bigotterie
9. Symptome statt Ursachen angehen
10. Zerstrittenheit

Die Liste ist natürlich nicht vollständig und die Punkte nur angerissen; es gibt noch utopische Dinge, wirtschaftliche und andere Aspekte, aber das sind ein paar derjenigen, die gerade mal raus wollten 😉

1. Ablehnung sachlicher Diskussionen

Da es vorhin als Thema aufkam, hier spontan ein paar Gedanken.

Immer wieder fällt mir auf, dass gerade Menschen, die sich dem weit linken Spektrum zuordnen (lassen), es nicht zu sachlichen Diskussionen kommen lassen (die weit rechten Leute verirren sich zum Glück seltener in meine Umgebung, sind aber sicher nicht besser, so sie denn auftauchen). Liegt es daran, dass man müde geworden ist? Liegt es daran, dass man sich für besser und besser informiert hält, als der Gegenüber? Hat man Angst vor einer Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, weil man Angst hat, das eigene Bild könnte sich verändern, das man doch so mühsam aufgebaut hat? Wenn man die besseren Argumente hat, warum sollte man eine inhaltliche Auseinandersetzung scheuen? Denken verboten, solange es nicht die gewollten  Bahnen nimmt.

Möchtet ihr so behandelt werden? Überzeugt euch so ein Verhalten?

Wenn sich eine inhaltliche Auseinandersetzung dauernd wiederholt, warum setzt man nicht eine fundierte und überzeugende, quellen- und faktenbasierte Liste für diese Punkte auf, auf die man dann verweisen kann? Warum agiert man immer wieder mit Ablehnung der inhaltlichen Auseinandersetzung?

2. Fordern, statt fördern

Dieselben Menschen setzen häufig viele Dinge und/oder Wissen als gegeben voraus. Und damit meine ich nicht simple Grundzüge, wie dass Menschen gleiche Rechte haben sollten, egal, wen oder was sie lieben, welche Farbe ihre Haut hat, welcher Religion sie anhängen oder was für Geschlechtsorgane sie haben.

Von allen Menschen zu erwarten, dass sie sich umständlich und umfänglich informieren und dann natürlich die Meinung teilen (wobei natürlich zu beachten ist, dass Informationen aus vielen Quellen sich – und die sich dort Informierenden – auch noch per se disqualifizieren, wohingegen andere natürlich per se gut und glaubwürdig sind). Wissen voraussetzen und Nichtwissende als dumm (oder direkt als Nazi etc.) abzuspeisen ist natürlich eine sehr sinnvolle Methode der Sympathie- & Unterstützungsgewinnung und keineswegs abschreckend oder gar kontraproduktiv.

Das wird man ja wohl mal voraussetzen können!

Wenn man gleichzeitig aber die breite Masse – die man ja an sich erreichen müsste, da „die schweigende Mehrheit“ ja das oft genannte Problem ist – als dumm darstellt und von ihnen erst mal fordert, sich zu informieren, natürlich aus den richtigen Quellen, umfassend und hinterfragend, anstatt zu unterstützen, ist das sicher nicht hilfreich für die Gewinnung von Unterstützung.

Möchtet ihr so behandelt werden? Überzeugt euch so ein Verhalten?

3. Gruppendenken und Bubblementalität

In den extremen Meinungsecken ballen sich, egal um welches Thema es geht – also auch bei uns Linken jeder Couleur – Gruppen zusammen, in denen viele Ansichten als Dogma existieren, welches nie und nicht mal ansatzweise hinterfragt werden darf. Wer das doch tut, den muss man wegblocken und sich eher weiter radikalisieren, da diese Kritik der Dummen ja auch wieder Beleg dafür ist, dass man Recht hat. Jede Kritik von Außen – oder gar reflektierte Bedenken von Personen, die doch dazugehören – sorgt für Bestärkung von Innen, Abwehrreaktionen und weitere Abschottung.

Besonders sichtbar wird dies in sozialen Netzwerken, wo diese Prozesse schneller und radikaler ablaufen, als an anderen Orten unserer Welt.

Möchtet ihr klassisches „Wir vs. die Anderen“? Überzeugt euch so ein Verhalten?

4. Verwässerung von Begriffen

Klar kann man jeden als Masku, Antisemit, Nazi usw. geißeln und brandmarken, der andere Meinungen vertritt. Aber macht das Sinn? Verwässert das nicht erstens Begriffe, wie bei dem Jungen, der „Wolf“ schreit? Relativiert es nicht auch gleichzeitig die Taten & Opfer derjenigen, auf die diese Begriffe sicher zutreffen?

Ich halte diesen inflationären Gebrauch für gefährlich und schädlich.

Möchtet ihr, dass diese Begriffe nichts mehr wert sind und gleichzeitig deren eigentliche Bedeutung relativiert wird?

5. Pure Blockade & Selbstbespaßung

Yay! Wir haben mit mehreren 100 Leuten wieder mal 20 Vollidioten ihre Demo versaut, schlagt alle ein und lasst uns uns feiern, weil wir super sind!

Mal ehrlich. Wenn 20 (oder 100) Idioten mit alten Fahnen und dummen Sprüchen herumziehen, kriegen sie durch Blockaden mehr Aufmerksamkeit, als sie sonst kriegen würden und verdienen. Klar, gehen die Teilnehmer in die Hunderte oder Tausende, sieht die Sache anders aus, aber auch hier gilt für mich: Die Demo an sich ist Selbstbespaßung der Idioten und erreicht erst mal nicht viele Leute, sondern „nur“ sie selbst. Die Öffentlichkeit wird meist geschaffen durch Berichterstattung.

Ein buntes Straßenfest einige hundert Meter weiter sorgt dafür, dass die eigentliche Demo nur eine Randnotiz ist. Oder gar rein negativ auffällt in den Medien. Und zeigt direkt auch, dass man wirklih bunt, vielfältig und für Freiheit und Grundrechte ist, nicht nur gegen Idioten.

Wenn man aber in schwarz und vermummt, blockierend und aggressiv durch die Gegend zieht und zwischendurch tolle Parolen oder Gesänge von sich gibt, die Otto-Normalbürger gar nicht kapiert oder eher bedrohlich findet, was ist es dann mehr, als Selbstbespaßung? Wen und was erreicht es?

Möchtet ihr vor allem Spaß haben und eure Bubble auf die Straße tragen und in sich geschlossen halten, oder möchtet ihr was bewegen und Menschen erreichen, damit sich was ändert?

6. Hohes moralisches Ross

Immer wieder werden „Diskussionen“ sehr davon geprägt, dass von oben herab als „guter Mensch“ den bösen anderen gepredigt wird. Kommunikation auf Augenhöhe? Fehlanzeige. Wer auch nur den leisesten Verdacht erregt, er könnte Dinge, die nicht mit der Meinung der eigenen Bubble in Deckung zu bringen sind, befürworten oder auch nur bedenken, ist direkt eine persona non grata und sicher dumm und moralisch am Ende. Das geht natürlich passend einher mit den Punkten 1,3 und 4. Man selber ist ja der Gute, weil… ja weil man es halt ist!!11! Daher ist der andere natürlich zwangsläufig der Böse und es findet sich sicher ein passender Begriff – oder sonst halt eine Neuschöpfung, gerne aus dem amerikanischen – um ihn zu diffamieren.

Möchtet ihr gerne von „wissenden und moralisch überlegenen Menschen“ von oben herab behandelt werden? Überzeugt euch so ein Verhalten?

7. Gewalt(bereitschaft) und martialisches Auftreten

Ja, ich kenne und verstehe die Argumente, die für einen schwarzen Block bei Demos sprechen. Aber glaubt ihr ehrlich, dass das für viele der dort anzutreffenden Menschen der Grund für Vermummung und schwarze Massen ist? Kann es nicht sein, dass da so 1-3 Menschen bei sind, die im Rahmen dieser Masse einfach nur Krawall ohne Konsequenzen für sich wollen? Und dass das ganz vielleicht bei der Masse der Menschen nicht so super positiv ankommt, wenn Steine fliegen, es brennt und eine Horde schwarzgekleideter Vermummter Parolen gröhlt?
Möchtet ihr, dass an die Stelle von friedlichen Demonstrationen und Überzeugung von Menschen ein gewaltbereiter Mob tritt, der sich daran erfreut, martialisch aufzutreten, sich zu produzieren und seinen Spaß zu haben? Meint ihr, dass möchten die Leute nebenan auch und sie werden danach überzeugt für linke Ideen eintreten?

8. Bigotterie

Ihr seid für Vielfalt? Lebt sie und lasst andere Meinungen zu. Ihr seid strikt und extrem gegen Kapitalismus? Schmeisst euer iPhone weg, kauft keine Klamotten und lasst das große M weg. Ihr hasst Deutschland? Dann nutzt eure Reisefreiheit. Ihr seid für Grundrechte? Dann lasst Idioten demonstrieren und lasst Menschen ihre Meinung (oder überzeugt sie). Ihr seid gegen Nationalstaaten? Dann seid es auch bei Israel. Ihr seid gegen Verurteilung aufgrund der Herkunft? Dann lasst es auch bei Amerikanern, Russen oder Deutschen.

Und vor allem: Legt an euch selber höhere Maßstäbe, als an andere Menschen, nicht umgekehrt.

Wollt ihr von Menschen regiert und kontrolliert werden, die bigott sind? Mögt ihr unsere Regierung und die Kirchen mit all ihrer Bigotterie?

9. Symptome statt Ursachen angehen

Wenn ihr wirklich was bewegen wollt, dann macht es nicht wie die Politiker, die ihr dauernd dafür kritisiert und geht nur Symptome an. Klar ist es leichter und für das Selbstbild und die Selbstdarstellung ausreichend, miese Symptome anzuprangern, aber dumme oder feindliche Einstellungen haben auch Ursachen. Versucht diese zu ändern. Versucht die Gesellschaft und das herrschende System zu ändern, nicht nur immer Köpfe einer Hydra abszuschlagen.

Wollt ihr Krankheiten medikamentös behandeln oder vielleicht doch den langen Weg gehen und die Ursachen angehen und beseitigen?

10. Zerstrittenheit

Die linke Szene ist so dermaßen zerstritten durch Strömungen und Ansichten zu einzelnen Themen, dass es schmerzt. Was? Du bist pro Israel/Palästinenser? Pro/anti Amerika? Mit dir rede ich nicht, egal zu welchem Thema, du bist Teil des Bösen!

Dass sich andere Leute mit anderen Ansichten kaputt lachen ist nur logisch. Wo wegen Differenzen in Einzelpunkten die Zusammenarbeit in allen Punkten leidet oder gar unmöglich wird, kann man nichts erreichen.

Wollt ihr, dass jemand, der in einem Punkt eine andere Meinung hat, euch nicht unterstützt in anderen Punkten?

Kurz gesagt: Es ist in großen Teilen eher ein Problem der Kommunikation und des Handelns, als der Themen.

Ich möchte gerne Menschen, möglichst viele sogar, überzeugen. Wollt ihr das auch?

Geschenke & Pflichten – Sowas wie ein Rant

Von der Kommerzialisierung und Bürokratisierung des Schenkens – und einigen Folgen

Ob Weihnachten oder Valentinstag, ob Muttertag oder Geburtstag, Geschenke werden erwartet. Mal in Form von Blumen oder was Süßem für die Liebste oder den Liebsten, mal als Dank für die Mutter, mal weil es halt einfach so ist.

Wie passt das eigentlich zum Geschenk, das von Herzen kommen soll? Brauchen Geschenke von Herzen echt Termine? Ist das nicht die pure Bürokratisierung und Kommerzialisierung des Schenkens über fixe Zeitpunkte und schlechtes Gewissen, wenn man selber nicht die Notwendigkeit sieht und sich dem eigentlich lieber entziehen will?

Menschen überbieten sich, vergleichen sich, erwarten etwas. Die einen mehr, die anderen weniger. Einige fühlen sich schlecht, weil der Andere ja viel mehr verschenkt oder „Besseres“ oder weil sie es sich einfach nicht leisten können mitzumachen. Die Werbung trichtert allen bei den ersten drei Beispielen ein, dass es sich gehört, das man hier einfach schenkt, dass es einfach dazugehört. Ansonsten passiert es durch das eigene Umfeld. Streitigkeiten kommen auf, Stress baut sich auf, Rivalität, Wettbewerb. Alles wegen dieser Termine.

Enttäuschte Erwartungen und daraus resultierende Zwiste; schlechtes Gewissen, obwohl man vielleicht einfach nichts kaufen kann, weil die Kasse nichts hergibt; Entwertung des Geschenks an sich, weil es ja nur noch Ritual oder Pflicht ist und mitgenommen wird, gerne auch verbunden mit Gemecker über die Sinnlosigkeit desselben.

Sollten Geschenke nicht eher zwischendurch vergeben werden? Ohne Fahrplan? Als Zeichen, dass man an jemanden denkt, ihm dankt, ihn gern hat oder einfach etwas gefunden hat, was dieser Mensch vermutlich gerne mag?

Klar, auch dann kann es zu Vergleichen kommen, aber es gibt dann nicht den Zwang an einem bestimmten Datum etwas zu verschenken, weil da halt das Fest der Mutter, der eigenen Geburt (was ich bis heute skurril finde, meine Mutter, ja selbst mein Vater hat da mehr Anteil dran), das christliche Fest der Liebe (Haha…) oder der Tag der Blumenindust… äh, der Valentinstag der Liebenden ist?

Ich persönlich kann mich auch nicht von dieser anerzogenen – und durch dauernd auf uns alle einprasselnden Beeinflussung natürlich geförderten – Erwartungshaltung freisprechen, aber ich freue mich ehrlich gesagt mehr, wenn ich etwas „Außer der Reihe“ erhalte, als an vorgegebenen Terminen. Ich schenke auch lieber außerhalb, weil mir etwas für jemanden ins Auge springt oder derjenige es aus meiner Sicht einfach gerade verdient hat oder gebrauchen kann.

Und ich freue mich über kleine Gesten oder Kleinigkeiten oft mehr, als über große Geschenke.

Vielleicht bin ich (auch) in der Hinsicht komisch und kein Maßstab, aber ich finde sowohl dieses große Geschäft, als auch die Erwartungen und den Wettbewerb nicht angemessen für die tolle Geste, die Schenken für mich eigentlich ist oder sein sollte.

Der Valentinstag geht mir am Arsch vorbei, Weihnachten ist für mich irrelevant (und verlogen noch dazu), für meinen Geburtstag kann ich nicht wirklich etwas und wunder mich, dass ihn Leute feiern wollen (warum eigentlich nicht die Eltern feiern, gerade die Mutter? Warum nicht den Tag der Zeugung feiern, sondern dieses oft willkürliche Datum des „Beginns“ eines Lebens?) Und warum soll ich meiner Mutter nicht lieber zwischendurch was schenken, als am verdammten Muttertag?

Stellt ihr euch auch manchmal diese oder ähnliche Fragen? Stört ihr euch und macht dann doch mit, weil ihr andere nicht enttäuschen wollt, es sich gehört oder warum auch immer? Wie steht ihr zu diesen „Pflichttagen“? Zu Geschenken an sich?

Callcenter – Mein Job als CCA

Teil 2

Teil 1 behandelte grob die Branche an sich, hier geht es um den Job des CCA allgemein. Eine Polemik zu Service gibt’s auch.

Was machen denn diese CCA, unter welchen Bedingungen, wie ist der Job angesehen und wie wird er entlohnt?

Vorab ein kleines Beispiel zur Wertschätzung des Jobs:

Ich sage gerne zuerst, wenn ich gefragt werde, was ich eigentlich tue, dass ich „Geschäftskunden-Berater im Bereich Telekommunikation“ bin. Die Reaktionen sind meist sehr positiv. Dann sage ich, dass ich eigentlich in einem Callcenter arbeite. Die Wertschätzung wandelt sich in mitleidige Blicke. Dabei stimmt beides.

Ich selber habe auf der Arbeit dauerhaft über 30 Fenster und Tabs offen, die ich wirklich stets benötige. Darunter neben einem CRM, Excel, Word, Browser, Mailprogramm und weiteren Klassikern auch interne Enzyklopädien mit Prozessen, Regeln, rechtlichen Grundlagen, Zusammenfassungen, Ausnahmen, selbst erstellte Tools zur Verbesserung der Schnelligkeit und Qualität meiner Arbeit, ein weiteres Korrespondenzprogramm, eins für Auftragserstellung, eins für Auftragsverfolgung, Sendungsverfolgung, Finanzen usw.

Hinzu kommen natürlich noch weitere Tabellen, Präsentationen, Textdateien für Notizen, Programme um technische Details zu prüfen oder zu korrigieren und was man halt so alles braucht, um für Kunden agieren zu können.

Mit Hilfe dieser ganzen Programme muss ich also die für mich und meinen Arbeitgeber wichtigen Werte schaffen und alles so bearbeiten, wie es der Auftraggeber gestattet und im Idealfall auch der Kunde passend zu diesem Korsett aus Regeln wünscht. Selbstverständlich muss ich das auch alles dokumentieren und dort begründen, damit der nächste Bearbeiter mit den Informationen etwas anfangen kann. Natürlich muss ich dazu auch mit Vorgesetzten und anderen Abteilungen konferieren, dort begründet vortragen, warum ich welche Sache wissen oder durchführen möchte, zu der ich nur unter bestimmten Bedingungen eine Berechtigung habe – oder dort die Durchführung beauftragen, sollte ich keine Berechtigung haben – und das alles in den vorgegebenen Zeiten. Und immer mit dem Damoklesschwert der Kundenbewertung über mir hängend. Lehne ich dem Kunden etwas ab – weil ich muss, nicht aus Boshaftigkeit und natürlich begründet – wird dieser nicht zufrieden sein und im Zweifel eine schlechte Bewertung abgeben. Tja. Pech gehabt.

Bei der Bewertung ist es ein wenig, wie bei Arbeitszeugnissen. Die Wortwahl muss einen Superlativ enthalten, sonst ist es – um in Schulnoten zu sprechen – bestenfalls eine Zwei (Ihr kennt vielleicht diese erst etwas seltsam anmutende Beendigung des Gesprächs, in der der CCA sagt, dass er davon ausgeht, dass ihr „äußerst zufrieden“ seid?). Hat die Bearbeitung dem Kunden zu lange gedauert im schriftlichen Bereich, wofür ich oft nichts kann, da ich den Vorgang erst nach Tagen erhalten habe, wird er das häufig vermerken. Und auch das ist negativ für mich. Im telefonischen Bereich gibt es dazu Rückrufe, die auch diese Superlative verlangen und mehrere Dinge abfragen, die für mich relevant sind. Auch sind Menschen halt so, dass sie negative Dinge gerne aktiv anmerken, positive aber als gegeben und selbstverständlich voraussetzen.

Sowohl beim Schreiben, als auch und gerade in den Telefonaten kommen noch weitere benötigte Fähigkeiten hinzu. Ich muss einschätzen, was für ein Mensch der Kunde ist und wie ich mit umgehen kann / soll. Da der Kunde sowohl Prof.-Dr. XY sein kann, als auch der 19jährige Kevin, als auch der 85jährige ehemalige Maurer Hans, bedeutet das ein Grundwissen angewandter Psychologie und ein breites Spektrum an Kommunikationstechniken und den jeweils der Situation und dem Kunden angepassten Wortschatz (Übrigens ist auch das Spektrum der Hintergründe der CCA sehr weit gefasst. Da sitzen Menschen mit Diplom neben früheren Abteilungsleitern oder Informatikern und Studenten). Und das innerhalb kürzester Zeit auf die jeweilige Situation und den Kunden abgestimmt und immer unter dem Druck der Zielwerte.

Ich bin in mehr oder weniger großen Anteilen Seelsorger, Techniker, Berater, Prellbock und Sündenbock, Schlichter, geduldiger Zehnfach-Erklärer von Dingen, die eine Suchmaschine in 10 Sekunden auch vermittelt, Buchhalter, Übermittler schlechter Nachrichten, schlichter Ausführer von Wünschen, Kommunikationsexperte, Psychologe, Adressat von Beleidigungen, vielseitiger Fachmann für Tarife usw.

Und wisst ihr was:

Diese Vielseitigkeit macht – vom Korsett und Teilen der Bedingungen und der Bezahlung mal abgesehen – sogar Spaß. Ich helfe gerne Menschen. Ich wühle mich gerne durch lange Reihen von Kontakten, Mails und Notizen,  durch Programme und Tools, um Klärungen herbeizuführen, um Verbesserungen zu schaffen.

Aber täglich wechselnde Schichten, geringer Lohn (ich erhalte immerhin schon den Mindestlohn und bin damit besser dran, als Teile der CCA bei anderen Dienstleistern), kaum Prämienchancen, Zeitdruck, minimaler gesetzlich vorgeschriebener Urlaub, keine Zusatzleistungen, ständiger Druck (Zahlen, Werte, Zeiten) und natürlich fehlende Wertschätzung sowohl durch Kunden, als auch außerhalb der Arbeit passen einfach nicht zu den vielfältigen Anforderungen des Jobs.

Und das ist es, was mir und vielen anderen CCA den Job dann doch teilweise vermiest. Und das ist es auch, was viele qualifizierte Menschen aus dem Job verschwinden oder ihn gar nicht ergreifen lässt und dafür sorgt, dass Beratung und Service leider auch oft zu wünschen übrig lassen. Wer macht sich schon gerne dauerhaften und mehrfachen Druck, einen kaputten Rücken, Schlafstörungen usw., nur um sich für ein Butterbrot (oft ohne eigene Schuld) anpampen zu lassen von Kunden oder aber, wenn er mehr macht, als die vorgegebene Zeit hergibt, vom Chef?

Wollen wir als Verbraucher guten Service? Gute und umfassende Beratung? Dann geht es nicht, diese Bedingungen, finanziell, wie auch in anderen Aspekten, zu belassen, wie sie sind. Dann müssen wir dafür sorgen, dass Zeit und Geld für genügend Schulungen da sind. Dass gut ausgebildete Menschen gerne und unter passenden Bedingungen im Service aktiv sind. Dann müssen wir bereit sein, Service zu honorieren. Wollen wir das nicht, müssen wir uns alle auch mit dem von uns allen immer wieder lautstark kritisierten schlechten Service arrangieren. Gute Leistungen durch gutes Personal gibt es nicht für Umme. Beides haben wollen funktioniert nicht.

Und wollen wir als CCA bessere Bedingungen, müssen wir uns breit aufgestellt organisieren. Tretet in Gewerkschaften ein. Vernetzt euch. Zusammen können wir was erreichen, alleine werden wir das nicht.

Weitere Blogbeiträge zu diesem Themenbereich, z.B. diesen (http://tom-coal.com/bin-ich-froh-dass-ich-nicht-wieder-nur-in-einem-callcenter-gelandet-bin/) findet ihr auf dem Blog von @Tom_coal unter http://tom-coal.com.